Aus der ÖVP selbst war am Sonntag der Ruf nach Visaerleichterungen für Bebenopfer gekommen: Der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), hatte sich für eine zeitlich begrenzte Aufnahme Betroffener in Österreich ausgesprochen. Als Vorbild könne Deutschland dienen, das nun unbürokratisch Visa erteilen will, damit Betroffene bei Angehörigen in Deutschland unterkommen können.
Nehammer hingegen winkte am Dienstag bei einem Hintergrundgespräch mit Journalistinnen und Journalisten ab: Ziel müsse es sein, die Menschen so gut wie möglich vor Ort zu unterstützen. Es werde ein Aufbauprogramm für die Türkei notwendig sein. Nicht jede „Ankündigung“ sei auch „automatisch effizient“, meinte er zu den deutschen Plänen. Man werde erst sehen, wie das funktioniert.
In Österreich habe man sich entschieden, vor Ort zu helfen. So werde auch die Bundesheermission noch eine Zeit lang fortgesetzt. Das sei keine „Härte“, sondern „die konsequente Fortsetzung der Politik ‚Hilfe vor Ort‘“, so Nehammer.
„Österreich ist auch nicht ausgeflippt“
Auch am viel kritisierten Schengen-Veto gegen Rumänien und Bulgarien will der Kanzler vorerst festhalten. Das Veto bleibe so lange aufrecht, solange das System „dysfunktional“ sei, so Nehammer. Er verwies erneut auf Asylanträge von rund 75.000 Personen, die vor ihrer Ankunft in Österreich nicht registriert worden seien, obwohl sie die EU-Außengrenze längst überschritten hatten.
Nehammer erinnerte auch an die nach wie vor bestehenden Grenzkontrollen seitens Deutschlands gegenüber Österreich. Man sei auch nicht unsolidarisch, diesen Vorwurf finde er nicht gerecht, betonte Nehammer. Deutschland habe Österreichs Schengen-Beitritt damals auch blockiert, weil man der Meinung gewesen sei, dass man nicht in der Lage sei, die Außengrenze zu schützen, und „da ist Österreich nicht ausgeflippt“, sondern man habe eben daran gearbeitet, dass das Vertrauen wachse, damit Deutschland zustimmen könne.
Neutralität „Geschichte der Freiheit“
Die österreichische Neutralität will der Kanzler auch nach einem Jahr Krieg in der Ukraine nicht angreifen. Österreich habe wegen der Neutralität besonders bei Staaten außerhalb der EU ein „besonderes Standing“ in Gesprächen, weil man eben nicht Teil eines Militärbündnisses sei. Das zu verlieren, wäre ein „zu hoher Preis“, neben allen sicherheitspolitischen Aspekten, meinte Nehammer. „Unsere Geschichte der Neutralität ist für die Menschen in Österreich ein Stück Geschichte der Freiheit.“
Abermals erinnerte Nehammer auch an den EU-Gipfel zu Migration, der aus seiner Sicht „ein großer Erfolg“ gewesen sei. In den Schlussfolgerungen seien „klare Worte“ zu finden, etwa substanzielle Hilfe in Grenzschutzeinrichtungen und -infrastruktur. Er sei „nicht so kurzsichtig“ zu glauben, „dass der Zaun die Lösung des Problems ist“ – wichtig sei, Fluchtbewegungen zu verzögern oder zu verhindern, und das gehe nur über Kooperationen mit den Herkunftsländern. Es gehe darum, in der Rückführungspolitik koordiniert und einheitlich vorzugehen.
Auf dem Gipfel vergangene Woche hatten die EU-Spitzen die Kommission aufgefordert, „unverzüglich umfangreiche EU-Mittel zu mobilisieren, um die Mitgliedsstaaten beim Ausbau der Grenzschutzkapazitäten und -infrastrukturen (…) zu unterstützen“. Das Geld solle auch für Überwachungsmittel, einschließlich der Luftüberwachung, zur Verfügung stehen, hieß es in der gemeinsamen Gipfelerklärung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich bisher gegen Gemeinschaftsmittel für „Stacheldrahtzäune und Mauern“ gesperrt. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, warnte davor, Europa zu einer „Festung“ zu machen. Unterstützung erhielt Nehammer bei seinen Forderungen hingegen von Dänemark und Griechenland.
(ORF.at/Agenturen)