Kirche zittert vor Gänswein-Buch

Der frühere Privatsekretär von Benedikt XVI., Bischof Georg Gänswein, sorgt kurz nach dem Begräbnis des emeritierten Papstes für Aufsehen: Sein Buch „Nient’altro che la verita“ (Nichts als die Wahrheit) soll diese Woche erscheinen – Kritik gibt es schon im Vorfeld.

Gänswein erzählt in dem Buch unter anderem von bisher unbekannten Details und dem nicht immer konfliktfreien Miteinander von Papst Franziskus und dessen Vorgänger Benedikt XVI. in den Jahren von 2013 bis zu Benedikts Tod am 31. Dezember 2022.

In der katholischen Kirche hagelt es schon jetzt Kritik an Äußerungen von Benedikts Privatsekretär an Papst Franziskus. Der amtierende Papst selbst äußerte sich bisher nicht direkt dazu. In seiner Sonntagspredigt sagte Franziskus: „Das Geschwätz ist eine tödliche Waffe: Es tötet, es tötet die Liebe, es tötet die Gesellschaft, es tötet die Geschwisterlichkeit.“

Audienz beim Papst

Am Montag empfing Franziskus Erzbischof Gänswein in Audienz. Das teilte der Vatikan ohne Angaben zu Gesprächsinhalten mit. Gegenstand könnte jedoch die berufliche Zukunft des 66-Jährigen gewesen sein.

Das Verhältnis zu dem deutschen Bischof war nicht das beste. Eine Zeit lang hatte Gänswein beiden Päpsten als Sekretär gedient. 2020 hatte Franziskus ihn dann als Präfekten des Päpstlichen Hauses beurlaubt.

„Besser schweigen“

„Es wäre besser gewesen zu schweigen“, sagte unter anderen der deutsche Kardinal Walter Kasper am Sonntag zu den Vorab-Äußerungen von Gänswein. Nach dem Tod Benedikts am Silvestertag im Alter von 95 Jahren wurden in katholischen Medien Interviews mit seinem langjährigen Vertrauten und Weggefährten Gänswein veröffentlicht. „Jetzt ist nicht der Moment für solche Sachen“, befand der 89 Jahre alte Kasper im Interview mit der italienischen Zeitung „La Repubblica“ (Sonntag-Ausgabe).

„Schmerz“ Benedikts wegen „Alter Messe“

Gänswein sagte etwa im Gespräch mit der deutschen „Tagespost“, dass Benedikt die Entscheidung von Franziskus, die „Alte Messe“ stark einzuschränken, „mit Schmerz im Herzen“ gelesen habe. Joseph Ratzinger – Benedikts bürgerlicher Name – hatte diesen Ritus während seines Pontifikats (2005–2013) unter bestimmten Voraussetzungen wieder zugelassen.

Ein anderer bereits laut gewordenen Vorwurfs des deutschen Bischofs lautet, Papst Franziskus habe auf einen Brief Benedikts XVI., worin dieser ihn aufgefordert habe, etwas gegen die „Gender-Politik“ zu unternehmen, nicht reagiert.

Über Beurlaubung „geschockt“

Gänswein kritisiert darüber hinaus in dem Buch „Nient’altro che la verita“, das dem Vernehmen nach am Donnerstag im italienischen Piemme-Verlag erscheint, den amtierenden Papst. 2020 sei er „geschockt“ gewesen, als Franziskus ihn als Präfekten des Päpstlichen Hauses beurlaubt und das bis heute nicht geändert habe.

Auch andere Kirchenvertreter äußerten sich kritisch zu Aussagen Gänsweins. „Ich denke, wenn man Kritik an den Heiligen Vater richten will, muss man das nicht über die Massenmedien manchen, sondern direkt an ihn persönlich“, sagte der Chef der US-amerikanischen Bischofskonferenz, Timothy Broglio, gegenüber „La Repubblica“. Broglio gilt selbst als sehr konservativ. Man müsse den gesamten Kontext kennen, sagte der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller der italienischen Zeitung „La Stampa“. „Leider ist das eine der Kontroversen, die dem Volk Gottes nicht gut tun.“

Priester schrieb Brief gegen Buchverkauf

Der Priester Don Alberto Varinelli aus der Diözese Bergamo in Norditalien rief Gänswein in einem offenen Brief auf, den Buchverkauf zu stoppen, sollte es sich dabei um eine Sammlung von Angriffen handeln. Angriffe auf Franziskus würden der „Einheit der Kirche großen Schaden zufügen“, argumentierte Varinelli laut Medienangaben vom Wochenende.

„Wie Papst Benedikt es bei seinem Rücktritt getan hat, prüfen auch Sie sorgfältig und wiederholt Ihr Gewissen vor Gott, und wenn sich herausstellt, dass dieser Text eine Ansammlung von Ressentiments und Angriffen ist, dann stellen Sie sofort den Druck und den Handel des Buches ein. Das wäre eine noble Geste eines Bischofs, der auf der Seite der Wahrheit steht und nicht der Versuchung des Grolls nachgibt.“

Offene Konflikte

In dem Werk, das der deutsche Erzbischof mit dem Vatikan-Experten Salvatore Gaeta verfasste, erklärt sich Gänswein über seine Entlassung als Leiter der Präfektur des Päpstlichen Hauses durch Papst Franziskus „schockiert und sprachlos“.

Laut Verlagsankündigung enthüllt Gänswein in dem Buch auch seine Wahrheit über die Manöver und Angriffe, die während des Pontifikats gegen den damaligen Papst Joseph Ratzinger in Gang gesetzt wurden. Weitere Themen seien der Fall der verschwundenen Jugendlichen Emanuela Orlandi, der Missbrauchsskandal und das Verhältnis zwischen Papst Franziskus und seinem Vorgänger in den Jahren seit 2013, hieß es.

(ORF.at/Foto: gettyimages)

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