Laut einer Mitteilung der Organisation vom Donnerstag soll Gmeiner zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren an mindestens acht minderjährigen Buben sexuelle Gewalt und Misshandlungen verübt haben. Die Fälle wurden im Rahmen interner Opferschutzverfahren dokumentiert.
Nach Angaben von SOS-Kinderdorf liegen acht bestätigte Meldungen vor; Übergriffe auf Mädchen seien derzeit nicht bekannt. Die Taten sollen sich an vier Standorten in Österreich ereignet haben. Die betroffenen Männer erhielten Entschädigungszahlungen von bis zu 25.000 Euro sowie die Übernahme von Therapiekosten. Gmeiner selbst musste sich nie vor Gericht verantworten.
Organisation kündigt umfassenden Neustart an
Als Konsequenz der Enthüllungen kündigte Geschäftsführerin Annemarie Schlack eine umfassende Neuaufstellung der Organisation an. „Es geht nicht um ein kleines Update, sondern um einen kompletten Neustart“, sagte sie der APA. Man wolle mit Strukturen brechen, die Vertuschung oder Wegschauen ermöglicht hätten.
„Auch mit dem Mythos der Gründerfigur wird aufgeräumt“, so Schlack. Die Vergangenheit müsse konsequent aufgearbeitet werden – ohne Tabus. Schon seit 2010 betreut SOS-Kinderdorf kaum noch klassische „Kinderdorffamilien“; stattdessen leben die meisten der rund 1.800 betreuten Kinder in Wohngemeinschaften mit professionellen Teams.
Unabhängige Kommission untersucht Strukturen
Eine Reformkommission unter Leitung von Irmgard Griss untersucht derzeit die historischen Vorfälle und internen Strukturen. Nach Abschluss soll ein öffentlicher Bericht erscheinen. Parallel dazu wird ein Sonderbeauftragter für Aufarbeitung eingesetzt, um Archivmaterial zu sichten und offene Fälle zu dokumentieren.
Laut Schlack beginne man einen „extern begleiteten Organisationsentwicklungsprozess“, um Verantwortung, Kontrolle und Transparenz auf allen Ebenen dauerhaft zu sichern. Ein neues Leitbild und eine moderne Unternehmenskultur sollen entstehen.
Politische und internationale Reaktionen
Die Grünen zeigten sich „zutiefst betroffen“. Familiensprecherin Barbara Neßler forderte, dass die Aufarbeitung nicht bei Lippenbekenntnissen stehen bleiben dürfe. Auch die Regierung müsse Verantwortung übernehmen.
SOS Children’s Villages International reagierte ebenfalls deutlich: Vorstandsvorsitzender Domenico Parisi verurteilte Gmeiners Verhalten „aufs Schärfste“, betonte aber zugleich die wichtige Arbeit der Organisation, die „Millionen von Kindern weltweit Hoffnung und Chancen“ biete.
Vom gefeierten Gründer zur belasteten Figur
Gmeiner gründete 1949 den Verein Societas Socialis (SOS), der später in SOS-Kinderdorf umbenannt wurde. 1950 wurde in Imst (Tirol) das erste Haus eröffnet. Die Idee – elternlosen Kindern ein familienähnliches Umfeld zu bieten – fand weltweit Anklang.
Der Gründer galt jahrzehntelang als Symbolfigur der Kinderfürsorge und erhielt über 140 Auszeichnungen. Zahlreiche Straßen, Schulen und Parks tragen seinen Namen. Mit den aktuellen Enthüllungen