„Der erwartbare Erfolg einer Lebendrettung steht in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem Sicherheitsrisiko“, sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis am Samstag. „Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein.“ Seit Dienstag waren 82 Soldaten und Soldatinnen der Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) im Einsatz und bargen bisher neun verschüttete Menschen.
Seit den frühen Morgenstunden am Samstag kam es nun aufgrund der Sicherheitslage zu keinen Rettungsaktionen mehr. Die österreichische Katastrophenhilfseinheit halte sich nach Informationen des Bundesheeres gemeinsam mit zahlreichen anderen Hilfsorganisationen in einem Basiscamp in der türkischen Provinz Hatay für weitere Einsätze bereit. Auch an der für Donnerstag nach Österreich geplanten Rückkehr werde sich nichts ändern.
Über 24.000 Tote
Über 24.000 Tote sind nach den verheerenden Erdbeben vom Montag in der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien inzwischen gemeldet worden – 20.665 in der Türkei, 3.500 in Syrien. Rund 80.000 Verletzte werden offiziellen Angaben zufolge in Krankenhäusern behandelt. Fünf Tage nach den drastischen Erdbeben schwindet die Hoffnung, Überlebende zu finden.
Nach Angaben des türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay von Samstagfrüh wurden in den vergangenen 24 Stunden noch 67 Menschen gerettet. 122 Stunden nach den Erdbeben wurden eine 70-jährige Frau in der Provinz Kahramanmaras und eine 55-Jährige in Diyarbakir lebend geborgen. Auch eine Schwangere und eine Neunjährige konnten gerettet werden. Menschen überleben nur in seltenen Fällen länger als drei Tage ohne Wasser. Viele Menschen werden noch unter den Trümmern vermisst.
Hunderttausende obdachlos
Die Katastrophe erstreckt sich über ein 450 Kilometer breites Gebiet. Seit dem ersten Beben Montagfrüh wurden fast 1.900 Nachbeben registriert. Laut UNO sind 24,4 Millionen Menschen von der Naturkatastrophe betroffen. Viele müssen trotz Kälte im Freien, in Autos oder Zeltnotlagern ausharren, weil die Häuser zerstört wurden oder einsturzgefährdet sind. Es mangelt an vielen Stellen an Lebensmitteln, Trinkwasser und funktionierenden Toiletten.
Über eine Million sei in Notunterkünften untergebracht, sagte Oktay. Ziel sei, dass diese Menschen innerhalb eines Jahres wieder zu einem normalen Leben zurückkehren könnten. Die Wohnungen sollen wieder aufgebaut werden.
Die Wut der Menschen richtet sich zunehmend gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Erdogan habe so wie die Behörden zu langsam und unzureichend auf die Katastrophe reagiert. Bei einem Besuch im Erdbebengebiet räumte Erdogan selbst ein, dass die Hilfe nicht so schnell geleistet worden sei wie gewünscht.
Schwierige Hilfe in Syrien
Im Bürgerkriegsland Syrien ist der Hilfseinsatz besonders schwierig. Zur Erdbebenkatastrophenregion zählen Landesteile, die von der Regierung kontrolliert werden, aber auch Rebellengebiete. Am Freitag traf ein erster Hilfskonvoi der Vereinten Nationen im Norden Syriens ein.
Das Welternährungsprogramm der UNO hatte zuvor gewarnt, dass seine Lagerbestände im Nordwesten Syriens zur Neige gingen. 90 Prozent der Bevölkerung sind dort auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Der Grenzübergang Bab al-Hawa ist derzeit der einzige Zugang in die Rebellengebiete. Immer wieder wird befürchtet, dass auch dieser Grenzübergang geschlossen wird.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen appelliert, diesen Übergang offenzuhalten, spricht zugleich aber von einem „Nadelöhr“, das den Hilfsgütertransport nach Nordsyrien stark verzögere. Zusätzlich erschweren zerstörte Straßen, Überflutungen und fehlender Treibstoff den Hilfseinsatz.
(ORF.at/Agenturen/Foto: Gettyimages)