Denn, betonte Van der Bellen einmal mehr, eine niedrige Wahlbeteiligung sei seine größte Sorge gewesen. Es sei eine Erleichterung, dass die Wählerinnen und Wähler trotz Ausgangslage und Umfragen, die ihn als klaren Sieger sahen, abstimmten.
Auf die Frage, ob sein Ergebnis angesichts der Unterstützung aller Parlamentsparteien mit Ausnahme der FPÖ nicht eigentlich unter den Erwartungen geblieben sei, meinte Van der Bellen, man könne „natürlich überall einen Wurm drin finden“. Er betonte, es sei darum gegangen, die absolute Mehrheit beim Antreten von sechs weiteren Kandidaten zu erreichen.
Dass er als langjähriger Grünen-Chef ausgerechnet bei den unter 30-Jährigen keine absolute Mehrheit schaffte, bedauerte Van der Bellen. Wenn man ihn mit den Grünen messe, könne man es freilich auch anders sehen, so Van der Bellen: Denn bei den über 60-Jährigen habe er für Grünen-Verhältnisse atpyisch gut abgeschnitten.
„Bin nicht der Überkanzler“
Gefragt, ob er sich in seiner zweiten Amtszeit aktiver in die Innenpolitik einmischen werde, antwortete Van der Bellen zurückhaltend. Er sei sehr wohl aktiv, aber in der Regel eben hinter den Kulissen. Er verwies auf die komplexe Rollenverteilung mit gegenseitiger Kontrolle, die die Bundesverfassung für die verschiedenen Institutionen vorsehe. Er sei demnach nicht der „Überkanzler oder Chefkommentator“. Er versprach, darüber nachzudenken, „wo ich mich stärker öffentlich einbringen kann“.
Gefragt, ob er weiter bei seiner früheren Aussage bleibe, keinen FPÖ-Kanzler anzugeloben, antwortete Van der Bellen ausweichend. FPÖ-Chef Herbert Kickl tue derzeit alles, um mögliche Koalitionsfreunde von Haus aus zu verunsichern oder zu verärgern. „Nur so weiter, und dann stellt sich diese Frage ganz bestimmt nicht“, so Van der Bellen. Und auf Nachfrage, ob er damit sein Nein abschwäche, betonte Van der Bellen, er glaube nicht, dass sich diese Situation überhaupt stellen werde.
Politikfrust „absolut alarmierend“
Dass 80 Prozent laut Wahltagsbefragung von der aktuellen Politik enttäuscht seien, ist für Van der Bellen „absolut alarmierend“. Er sieht hier die politischen Parteien in der Pflicht. Diese seien gut beraten, hier gegenzusteuern, um Verhältnisse wie etwa in Italien zu vermeiden. Dort eroberten bei der jüngsten Parlamentswahl die postfaschistischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni Platz eins. Es seien schwer zu beherrschende Bewegungen, die die Stabilität der Demokratie gefährden könnten.
Vorstößen, die Voraussetzungen für eine Kandidatur zu ändern oder die Wiederwahl eines amtierenden Bundespräsidenten statt als Volkswahl durch die Bundesversammlung vornehmen zu lassen, steht Van der Bellen grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber. Bei Zweiterem ließ Van der Bellen aber eine klare Präferenz für eine einmalige, dafür längere, Amtszeit erkennen. Die Volkswahl habe ihre „guten Gründe“, brach er eine Lanze für die Direktwahl – auch wenn die Vergangenheit zeigte, dass bei Antreten eines Amtsinhabers die Wiederwahl quasi programmiert ist.
„Europa hat gewonnen“
Mit viel Jubel, hymnischen Musikeinspielungen und rot pulsierenden Leuchtkugeln wurde Alexander Van der Bellen Sonntagabend dann noch als Sieger der Bundespräsidentenwahl auf der Wahlparty seiner Unterstützer empfangen.
Gewonnen hätten Mut, Zuversicht, eine positive Einstellung, „und es hat Europa gewonnen“, der Glaube an die Wichtigkeit eines geschlossenen Europa gegenüber der russischen Aggression gegen die Ukraine, sagte Van der Bellen, der sich nicht nur bei den Grünen, sondern auch bei NEOS, SPÖ und ÖVP für deren Unterstützung bedankte. Andere Kandidaten hätten das nicht so gesehen, so der wiedergewählte Bundespräsident.
Bis zum Eintreffen Van der Bellens hatte sich die Partylocation – einer Veranstaltungshalle auf dem Gelände des Stadterweiterungsgebiets Aspanggründe in Wien-Landstraße – eher langsam gefüllt. Den Vertreterinnen und Vertretern der Grünen – darunter Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler, Klubobfrau Sigrid Maurer, die Ministerinnen Alma Zadic und Leonore Gewessler sowie Minister Johannes Rauch – gesellten sich schließlich auch Repräsentanten anderer Parteien hinzu, etwa NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, ÖVP-Europaabgeordneter Othmar Karas und der Wiener Ex-Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ).
(ORF.at/Agenturen/Foto: Instagram screenshot)