Laut Nachhilfebarometer der Arbeiterkammer (AK) griffen 16 Prozent der Nachhilfeschüler auf bezahlte Nachhilfeangebote zurück, weitere 20 Prozent hätten zwar (mehr) bezahlte Nachhilfe benötigt, ihre Eltern konnten sie sich aber nicht leisten. Die Zahl entspricht einer Steigerung von acht Prozent gegenüber der Zeit vor der Coronavirus-Pandemie.
Familien stünden unter einem enormen Druck, die Defizite des österreichischen Schulsystems auszugleichen, kritisierte AK-Präsidentin Renate Anderl bei der Präsentation der Erhebung am Donnerstag vor Journalistinnen und Journalisten. Eigentlich sei es Aufgabe der Schule, jedes Kind ausreichend zu fördern und zu unterstützen. „Das kann die Politik nicht einfach an die Familien auslagern“.
„Lerndruck und Stress schon bei den Jüngsten“
Als besonders erschreckend befand Anderl, dass bereits 16 Prozent der Volksschüler Nachhilfe nehmen – 2017, vor Wiedereinführung der verpflichtenden Ziffernnoten in den Volksschulen, waren es noch sechs Prozent. Sie ortete „Lerndruck und Stress schon bei den Jüngsten“.
Es geht häufig um besonders gute Noten
Dabei gehe es in dieser Altersgruppe laut AK-Bildungsexpertin Elke Larcher vor allem darum, möglichst gute Noten zu erreichen, um den Platz am Wunschgymnasium zu bekommen. Generell steht nur noch bei einem Fünftel der Nachhilfeschüler das Verhindern bzw. Ausbessern einer negativen Note im Fokus. Ziel ist vielmehr, gute Ergebnisse bei Prüfungen zu erreichen.
Über alle Altersgruppen hinweg haben laut der Erhebung vom Frühjahr 2022 (rund 3.400 befragte Eltern von rund 5.100 Schulkindern) insgesamt 27 Prozent Nachhilfe genommen. Damit haben sich die Zahlen nach dem Ausnahmejahr 2021 mit seiner Häufung an pandemiebedingtem Fernunterricht bzw. Schichtbetrieb und Rekordnachhilfequoten von 37 Prozent wieder auf dem Wert vor Beginn der Pandemie eingependelt.
Über 600 Euro pro Jahr
Bezahlte Angebote haben im laufenden Schuljahr 16 Prozent der Schüler genutzt und dafür im Schnitt 630 Euro und damit um ein Fünftel mehr als vor Beginn der Coronavirus-Pandemie ausgegeben. Je älter das Kind und je komplexer der Lernstoff, umso öfter wird dabei auf bezahlte Nachhilfe zurückgegriffen.
Das sei für Familien mit geringen Einkommen eine enorme Belastung, und gerade diese würden durch die aktuelle Teuerung besonders stark getroffen, warnte Larcher. In Familien mit einem Haushaltseinkommen unter 2.000 Euro waren die Ausgaben für Nachhilfe für 60 Prozent eine starke bzw. spürbare Belastung, bei Einkommen von über 3.000 Euro nur für ein Drittel.
Mithilfe der Eltern vorausgesetzt
Deutlich weniger Bedarf an bezahlter Nachhilfe haben Kinder und Jugendliche an Schulen mit ausreichend Förderangeboten (zehn Prozent) bzw. an verschränkten Ganztagsschulen, in denen sich Unterricht, Lern- und Freizeit über den Tag abwechseln (neun Prozent). 13 Prozent der Schüler haben laut der Erhebung außerdem kostenlose externe Nachhilfe bekommen. Im Vorjahr waren es mit den vielen Gratisförderangeboten 27 Prozent gewesen.
Die Mithilfe der Eltern wird im österreichischen Schulsystem immer noch stark vorausgesetzt, wie die Zahlen erneut zeigen: Drei Viertel der Eltern beaufsichtigen ihre Kinder zumindest hin und wieder beim Aufgabenmachen und Lernen, mit einem Viertel der Schüler lernen die Eltern sogar täglich. Je jünger das Kind, umso höher der Aufwand.
Viele fühlen sich überlastet
In zwei Dritteln der Fälle übernimmt diese Aufgabe trotz Vollzeitjobs die Mutter. „Die Frauen werden zwischen Berufstätigkeit und Schulerfolg ihrer Kinder aufgerieben“, beklagte Anderl. In den Familien sorgt die vom System vorausgesetzte Mithilfe der Familie für Druck und Stress: Vier von fünf Eltern fühlen sich laut der Erhebung spürbar zeitlich belastet, vier von zehn sind fachlich mehr oder weniger überfordert. Um gegenzusteuern, fordert die AK u. a. einen deutlichen Ausbau der Ganztagsschulen. Diese würden für die Kinder die Lernchancen und für Frauen die Vereinbarkeit mit dem Beruf verbessern.
(ORF)