Vergangenen September forderte die EU-Kommission Österreich dazu auf, die Umsetzung der EU-Naturschutzvorschriften in nationales Recht zu verbessern. U. a. ging es dabei um die Habitat-Richtlinie, eines der wichtigsten Instrumente der EU zum Schutz der biologischen Vielfalt. Gemäß der Richtlinie müssen die EU-Mitgliedstaaten besondere Schutzgebiete ausweisen und anschließend Erhaltungsziele und -maßnahmen für die dort beheimatete Tier- und Pflanzenwelt festlegen.
Zu diesem Zweck wurde das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 ins Leben gerufen, an dem auch Österreich mit 350 Gebieten beteiligt ist (Stand Jänner 2022). Aber der Schein eines vorbildlichen Naturschutzlandes trügt. Das sieht nicht nur die EU-Kommission so, auch Naturschutzorganisationen üben immer wieder Kritik an den heimischen Versäumnissen.
„Zahlreiche Beispiele für Österreichs Versagen“
Die Beispiele für das österreichische Versagen sind laut WWF zahlreich: „Ein geschützter Fluss ohne eine einzige, als schützenswert ausgewiesene Fischart, ein Vogelschutzgebiet ohne ausgewiesene Vogelart, Schutzgebiete ohne konkrete Schutzziele oder Erhaltungsmaßnahmen – der lückenhafte Umgang mit den EU-Vorgaben gefährdet die Natur und damit unsere Lebensgrundlagen“, kritisierte die Organisation am Wochenende.
Laut WWF-Gewässerschutzexperte Gerhard Egger „wurden unzählige Infrastrukturprojekte in Natura 2000 Gebieten von vornherein falsch bewertet. Sie würden einer objektiven Überprüfung nicht standhalten“. Die Naturschutzorganisation fordert daher einen grundsätzlichen Stopp von Bauprojekten in Natura 2000 Gebieten.
Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich
Da Österreich bei der Umsetzung des Naturschutz-Netzwerks gegen EU-Recht verstößt, hat die EU-Kommission bereits im September ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Österreich bleibt noch bis Ende Jänner Zeit, um darauf zu reagieren. Laut WWF-Analyse sind allerdings mehrere konkrete Verbesserungsschritte nötig, um ein wirkungsvolles Naturschutz-Netzwerk einzurichten und die Klage abzuwehren.
Neben dem Stopp von Verbauungen in Schutzgebieten brauche es eine substantielle Ausweitung von Renaturierungs- und Artenschutzmaßnahmen sowie bundesweit einheitliche und vollständige Managementpläne. „Derzeit haben mehr als 80 Prozent der Schutzgüter in Österreich keinen günstigen Erhaltungszustand“, mahnt Egger. Deshalb sei es essentiell, dass die Bundesländer für alle Schutzgebiete klar definierte Erhaltungsziele und Schutzmaßnahmen festlegen und miteinander koordinieren, so der Naturschützer.
Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof droht
281 der 350 österreichischen Natura 2000-Gebiete sind als Europaschutzgebiete rechtlich verordnet (Stand Jänner 2022). In Österreich selbst seien viele davon aber noch nicht rechtsverbindlich: „Die Landesregierungen haben auf dem Papier zahlreiche Schutzgebiete nach Brüssel gemeldet, diese aber nie in nationales Recht umgesetzt“, kritisiert WWF-Experte Egger.
Die Politik müsse da so schnell wie möglich nachholen, so Egger. Zusätzlich müssten die Behörden umfassende Naturverträglichkeitsprüfungen für Projekte garantieren und den Zugang zu Informationen über die Schutzgebiete erleichtern. „Wenn Österreich nicht rasch und weitreichend auf das Mahnschreiben reagiert, drohen schwerwiegende Konsequenzen – von rechtswidriger Naturzerstörung bis hin zu einer Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof und hohen Strafzahlungen“, warnt der Naturschützer abschließend.
Natura 2000
Natura 2000 ist ein europaweites Netzwerk von Schutzgebieten, das zum Ziel hat, die biologische Vielfalt zu erhalten. Die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie und die Vogelschutz-Richtlinie der EU sehen vor, dass alle Mitgliedsländer der EU einen angemessenen und wirksamen Beitrag zu diesem Ziel leisten müssen. Österreich zählt laut WWF im Naturschutz vielfach zum EU-Schlusslicht, wie Auswertungen der Europäischen Umweltagentur zeigen würden. Über 80 Prozent der EU-rechtlich geschützten Arten und Lebensräume seien in keinem guten Zustand.
(meinbezirk.at/Foto: gettyimages)