„Der Innenminister und ich arbeiten seit Wochen eng zusammen, um die Gewalteskalationen in Favoriten aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufzuarbeiten, zum einen aus sicherheitspolizeilicher und zum anderen aus gesellschaftspolitischer Perspektive“, sagte Integrationsministerin Susanne Raab bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Innenminister Karl Nehammer und dem Wiener Landespolizeivizepräsidenten Franz Eigner zum Ermittlungsstand nach den Ausschreitungen bei den Demonstrationen in Wien-Favoriten.
„Mein großer Dank geht an den Innenminister und die Polizei für ihren Einsatz vor Ort und die bisherigen Ermittlungen, durch die 10 von 30 Verdächtigen und 4 Hintermänner ausgeforscht werden konnten. Ich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Tagen noch mehr Erkenntnisse über die Geschehnisse erlangen werden“, betonte Raab. Ebenso wichtig sei es auch, nicht die Augen zu verschließen und die Ereignisse auch gesellschaftspolitisch aufzuarbeiten.
Parallelgesellschaften und Brennpunkte
Man müsse die richtigen Schlüsse ziehen und folgende Fragen erörtern: Welche Faktoren beeinflussen das Entstehen von Parallelgesellschaften in Wien? Was hilft, sie zu verhindern? Was führt dazu, dass Migrantinnen und Migranten, zum Teil der zweiten und dritten Generation, hier in Wien leben und Konflikte aus dem Ausland zu uns tragen? Welche Rolle spielen Vereine und andere Organisationen bei der Entstehung von diesen Konflikten?
„Was wir vor 2 Wochen in Favoriten gesehen haben, waren gewalttätige Konflikte, die aus dem Ausland nach Österreich getragen wurden. Die Vorkommnisse waren aber nur die Spitze eines Eisbergs, unter dessen Oberfläche sich Abschottung und Parallelgesellschaften verbergen. Dabei treffen viele Faktoren aufeinander, etwa mangelnde Deutschkenntnisse, die Konsumation von ausländischen Medien, patriarchale Strukturen oder Vereine und Organisationen, die kein Interesse daran haben, dass sich die Menschen in Österreich integrieren“, erklärte Integrationsministerin Raab. Daher müsse man unter die Oberfläche blicken und sich fragen, wo Parallelgesellschaften und Brennpunkte entstehen.
Räumliche Segregation und sozioökonomische Faktoren sind zentral
Letzte Woche seien gemeinsam mit der renommierten Integrationsexpertin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, die Ergebnisse einer aktuellen Analyse zu Parallelgesellschaften in Österreich vorgestellt worden. „Die Analyse zeigt uns, dass die räumliche Segregation, also die Höhe des Anteils ausländischer Staatsangehöriger in bestimmten Gegenden, ein wichtiger Indikator ist, ob Parallelgesellschaften entstehen oder nicht.“ Wenn man Favoriten analysiere, seien 37 Prozent der Menschen ausländische Staatsangehörige. Betrachte man nicht nur ausländische Staatsbürger, sondern den Anteil von im Ausland geborenen Menschen, so steigt der Anteil in Favoriten auf 43 Prozent. „Aber auch sozioökonomische Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und soziale Faktoren spielen eine Rolle. Besonders wichtig ist, wie stark die gesellschaftliche Abschottung der Gruppen ausgeprägt ist, also welche Normen und Werte praktiziert werden und wie mit Konflikten innerhalb dieser Gruppen umgegangen wird“, sagte Susanne Raab.
In Wien gibt es laut der Analyse bereits ausgeprägte parallelgesellschaftliche Strukturen, die nicht nur das Zusammenleben behindern, sondern auch Gewalt begünstigen. „Wer diese Probleme lösen will, muss sie auch ganz klar ansprechen. Wir müssen den Ernst der Lage erkennen.“
Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen
Eine Studie, die in Kürze im Detail vorgestellt werde, zeige auch, dass die Wienerinnen und Wiener ob dieser Entwicklungen durchaus besorgt seien. 70 Prozent der Wienerinnen und Wiener würden soziale Brennpunkte in der Stadt wahrnehmen. „Diese Sorgen der Bevölkerung muss man ernst nehmen. Wir werden daher ein Frühwarnsystem für solche Milieus einrichten, damit problematische Entwicklungen rechtzeitig erkannt werden und politische Verantwortungsträger reagieren können“, informierte die Integrationsministerin. Außerdem wird die Dokumentationsstelle für den politischen Islam rasch eingerichtet und soll Vereine und Organisationen durchleuchten, die patriarchale, radikale und extremistische Wertvorstellungen befördern und damit das Zusammenleben und die Integration behindern.
„Der Bund leistet im Sicherheits- und Integrationsbereich sehr viel und schafft Rahmenbedingungen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Ein gelungenes Zusammenleben ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Länder, Städte, Gemeinden und die Menschen selbst, dürfen hier nicht aus der Verantwortung gelassen werden“, sagte Raab. Österreich sei ein Land, in dem es viele Beispiele gelungener Integration gebe. Man dürfe die Augen aber nicht vor der Realität und den Problemen verschließen: „Wenn es abgeschottete Milieus in einzelnen Bezirken gibt, muss man diese Probleme mit aller Klarheit ansprechen.“