Eines der betroffenen Kinder wurde in Wien behandelt, das andere in Graz. Der junge Patient in der steirischen Landeshauptstadt sei elf Jahre alt gewesen und zunächst mit Bauchschmerzen und Fieber ins Spital gekommen, sagt Volker Strenger von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Graz. Probleme mit den Atemwegen, wie sie bei Covid-19 typisch sind, seien erst später dazugekommen, so der Mediziner.
Im Umfeld des Kindes habe es keine Infektion mit dem Coronavirus gegeben, sagt Strenger. „Wir wissen nicht, wo er sich angesteckt hat.“ An der Kinderklinik werden Patientinnen und Patienten mit Fieber oder Atemwegsbeschwerden routinemäßig auf CoV getestet. Der entsprechende PCR-Test bei dem Elfjährigen sei positiv ausgefallen, so Strenger. Zusätzlich seien Bakterien, die Angina auslösen, im Rachen des jungen Patienten gefunden worden.
Nach einigen Tagen mit milden Symptomen verschlechterte sich der Zustand des Schülers. Er musste auf die Intensivstation verlegt werden, wo er Medikamente zur Stabilisierung des Kreislaufs erhielt und beatmet wurde. Insgesamt lag der Bub neun Tage auf der Intensivstation. Mittlerweile ist er vollständig genesen. Am Mittwoch konnte er das Krankenhaus schließlich verlassen.
Ähnlicher Verlauf wie bei manchen Erwachsenen
In den vergangenen Tagen hatten sich die Berichte über eine „mysteriöse“, durch Covid-19 verursachte Kinderkrankheit in internationalen Medien gehäuft. In Frankreich starb ein Kind an den Folgen des Syndroms. Nachgewiesen wurde es auch bei über hundert Kindern in New York sowie im norditalienischen CoV-Hotspot Bergamo. In Großbritannien hatten Ärztinnen und Ärzte bereits im April auf die Immunreaktion hingewiesen, die Ähnlichkeiten mit dem seltenen Kawasaki-Syndrom aufweist. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus forderte Mediziner in aller Welt dazu auf, mit der WHO und den nationalen Gesundheitsbehörden zusammenzuarbeiten, um das Syndrom „besser zu verstehen“.
Für Strenger ist das Syndrom weniger „mysteriös“ als in den Medien dargestellt. „In Wahrheit ist das eine Art des Verlaufs, die man bei Erwachsenen recht gut kennt.“ Betroffene litten zuerst unter Fieber und teils schwerem Husten. Nach einigen Tagen verschlechtere sich ihr Zustand und es komme zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems. In Gebieten mit großen Krankheitsausbrüchen – wie New York, London oder Norditalien – „habe ich natürlich auch mehr erkrankte Kinder und dadurch auch mehr mit schweren Verläufen“, so Strenger.
Bei dem in Graz behandelten Kind sei es ähnlich gewesen, so Strenger, „und es kommt mir generell vor, dass diese schweren Verläufe bei den Kindern gar nicht so viel anders sind. Vielleicht mit dem Unterschied, dass die Krankheit bei Kindern anfangs so einen milden Verlauf nimmt, dass sie teilweise gar nicht getestet werden“. Die Situation sei „nicht beunruhigender als das, was wir schon am Anfang der Pandemie wussten. Dass Kinder zwar seltener erkranken als Erwachsene und in der Regel mildere Verläufe aufweisen, aber dass sie sehr wohl auch – in wenigen Fällen – schwer betroffen sein können“, so Strenger. Die Wahrscheinlichkeit, dass derzeit weitere Kinder in Österreich an dem Entzündungssyndrom erkranken, schätzt Strenger als gering ein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei das Coronavirus hierzulande gut eingedämmt.
Virenverbreitung: Rolle von Kindern unklar
Aus New York, London und Italien seien zudem Fälle von erkrankten Kindern gemeldet worden, bei denen der direkte Virusnachweis mittels PCR-Test bereits negativ war, als sie auf die Intensivstation gebracht wurden, so Strenger. Auch der Bub in Graz wurde nach seiner Verlegung auf die Intensivstation ein zweites Mal mittels PCR getestet. Das Ergebnis fiel negativ aus. Ein Antikörpertest schlug allerdings an.
Bleibt die Frage nach der Infektiosität. Der Kinderklinik seien keine Personen bekannt, die sich bei dem Buben angesteckt hätten, sagt Strenger. Die Rolle von Kindern bei der Übertragung von CoV ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Bei Kindern verläuft die Infektion oft symptomarm. Daher sei man in der Fachwelt anfangs davon ausgegangen, dass sie das Virus unwissentlich weiterverbreiten.
Die Vermutung, dass Kinder für die Verbreitung eine große Rolle spielen, basiere auch auf Erfahrungen mit der Virusgrippe, so Strenger: „Bei der Influenza ist bewiesen, dass Kinder die Viren nach Hause bringen und Eltern und Großeltern anstecken.“ Für das Coronavirus habe man so etwas aber bisher nicht nachweisen können.
Die Frage nach der Viruslast
Für Debatten in diesem Zusammenhang hatte Ende April eine Studie der Berliner Charite gesorgt. Forscher aus dem Team des deutschen Virologen Christian Drosten hatten Abstrichproben von Infizierten mittels PCR-Analyse untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Viruslast bei CoV-positiven Kindern ähnlich hoch war wie bei Erwachsenen.
Über die Infektiosität dieser jungen Betroffenen sage die Studie aber nichts aus, so Strenger. Beim PCR-Test wird das Virusgenom nachgewiesen. Ob es sich um infektiöse Viren handelt, lässt sich mit dem Test nicht bestimmen. Aus der Studie lasse sich auch keine Aussage darüber ableiten, wie viele Viren die Untersuchten tatsächlich ausstoßen. Die Ergebnisse anderer Studien wiederum legten nahe, dass Kinder sich generell weniger leicht mit dem Coronavirus infizieren, so Strenger.
Ebenfalls unklar ist, ob Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen ein höheres Risiko haben, dass die CoV-Infektion einen schweren Verlauf nimmt. „Die Datenlage ist unklar“, so Strenger. International gebe es etwa nur wenige Berichte über schwere Verläufe bei Kindern mit Asthma oder chronischen Lungenerkrankungen.