Lange hatten Opernliebhaber auf sie hingefiebert: die Spielplanpräsentation der Wiener Staatsoper. Roscic, der seine Direktion mit September 2020 antritt, hatte sich die Präsentation seines ersten Programms anders vorgestellt: „Wir wollten die Präsentation ja erstmals auf offener Bühne machen, vor Publikum, mit Gästen, mit Musik – auch das ist alles Corona zum Opfer gefallen“ sagte er dazu.
Da die 1.709 roten Samtsitze während der andauernden Coronavirus-Krise leer bleiben mussten, gab es dieses Jahr eine doppelte Premiere. Neben dem ersten Roscic-Programm fand die Spielplanpräsentation erstmals als TV-Event statt. Am Sonntag um 21.30 Uhr in ORF III war es so weit.
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Von der Bühne ins Wohnzimmer
Es war ein Blick, der sonst nur Opernstars vorbehalten bleibt: Die Kamera gab die Sicht auf die leere Bühne der Staatsoper von der Rückseite aus frei. Durch die Präsentation führte ORF-III-Moderator Peter Fässlacher, der mit Roscic über seinen ersten Spielplan sprach.
Auf die wohl drängendste Frage, ob er glaube, dass alle geplanten Produktionen angesichts der Coronavirus-Krise auch stattfinden könnten, entgegnete Roscic mit einer „ehrlichen Antwort“. „Das weiß keiner.“ Sicher sei jedoch, „dass die Staatsoper wieder öffnen wird und dass wir derzeit alles dazu tun, auf alle Szenarien, alle Eventualitäten vorbereitet zu sein und dafür zu sorgen, dass sie zurückkommt auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Kräfte“, so der designierte Staatsoperndirektor.
Rascher Repertoiretausch
Geplant sind jedenfalls zehn Premieren in der Spielzeit 2020/21. Damit zielt Roscic auf einen raschen Repertoiretausch ab, in dem große Teile desselben musikalisch und szenisch erneuert werden. Darunter finden sich herausragende und anerkannte Inszenierungen wie Calixto Bieitos „Carmen“, Barrie Koskys ursprünglich für Zürich inszenierte „Macbeth“ und Hans Neuenfels’ ikonische Fassung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ aus der Stuttgarter Oper.
Auch Dmitri Tschernjakows Inszenierung von „Eugen Onegin“ aus Moskau findet sich unter diesen Übernahmen. Diese Produktionen gastieren nicht, sie werden für die hiesigen Bedingungen adaptiert, neu einstudiert und gehen ins Repertoire über.
Koproduktionen
Ein weiteres Standbein für Roscics erste Spielzeit werden Koproduktionen sein, etwa Simon Stones „La Traviata“ mit der Pariser Oper und „Faust“ in der Regie von Frank Castorf gemeinsam mit der Stuttgarter Oper.
Schließlich wird es zwei Eigenproduktionen in dieser Spielzeit geben. Die erste soll am 13. Dezember Premiere feiern und Hans Werner Henze gewidmet sein. „Das verratene Meer“ ist eine Erstaufführung am Ring, Jossi Wieler und Sergio Morabito inszenieren, Simone Young dirigiert, und mit Vera-Lotte Boecker wird ein Neuzugang im Solistenensemble in der Hauptrolle vorgestellt.
Neuer „Parsifal“ und beachtliches Staraufgebot
Die zweite große Eigenproduktion ist ein neuer „Parsifal“ unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Philippe Jordan. Regie führt Kirill Serebrennikow, der Russland aktuell nicht verlassen darf.
Natürlich sind es auch die Stars, die mit ihrem Können gelungene Opernabende verantworten. In der Spielzeit 2020/21 wird man Elina Garanca in ihrem Weltdebüt als „Kundry“ in Serebrennikows Parsifal-Inszenierung sehen, Jonas Kaufman wird in derselben Produktion den „Parsifal“ geben. Anna Netrebko wird die – in eigenen Worten – „interessante, Shakespeare’sche, düstere und komplizierte“ Figur der „Lady Macbeth“ bestreiten.
Für die nächsten Jahre kündigte er jeweils mindestens eine Neuproduktion aus dem Werk Mozarts, Wagners und aus dem Bereich der klassisch gewordenen Opern des 20. Jahrhunderts an.
„Opernstudio“ und “Ein Haus für alle“
Als weitere Neuerung präsentierte Roscic das „Opernstudio“, eine Initiative, bei der jeweils zwölf junge Profisängerinnen und –sänger für zwei Jahre eine intensives Fortbildungs- und Trainingsprogramm an der Wiener Staatsoper durchlaufen werden. Über tausend Künstlerinnen und Künstler haben sich für die erste Runde beworben.
Zudem möchte Roscic die Staatsoper zu einem „Haus für alle“ öffnen und auch ein neues Publikum ansprechen. Ein Schritt auf diesem Weg ist sicherlich die Besetzung von Philippe Jordan als Musikdirektor und Chefdirigent. Sechs Jahre lang verfügte die Staatsoper über keinen Musikdirektor, Jordan, der aus Paris zugeschaltet war, wird sich jedenfalls in allen Belangen um die Sicherung der musikalischen Qualität an der Staatsoper kümmern und eng mit Roscic zusammen arbeiten.
Neue Wege im Ballett
Ebenfalls zugeschaltet wurde der künftige Leiter des Wiener Staatsballetts, Martin Schläpfer. Auch er ist ein Garant für die künstlerische Öffnung des Hauses, seine Arbeiten bewegen sich oft zwischen zeitgenössischem Tanz und Ballett. Schläpfer ist außerdem ein international gefeierter Choreograf, der auch diese Expertise in die Ballettproduktionen der Staatsoper wird einfließen lassen.
Wrabetz erfreut über Kooperation
„Es freut mich, dass der ORF in dieser herausfordernden Zeit des Stillstands im heimischen Kulturbetrieb einen weiteren Beitrag für das kulturelle Leben in der Corona-Krise und auch danach leisten kann“, so ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz zu dieser besonderen Programmpräsentation.
„Wir sind stolz, dass wir den Zuseherinnen und Zusehern den Start einer neuen Ära der Wiener Staatsoper in einer spannenden Sendung präsentieren dürfen. Ich danke Bogdan Roscic und seinem Team für diese besondere Zusammenarbeit“, so Wrabetz weiter.
Netrebko sang Puccini, Nolz sang Strauss
Musikalischer Höhepunkt der Spielplanpräsentation waren drei besondere Auftritte: Operndiva Netrebko gab Giacomo Puccinis „In quelle trine morbide“ aus „Manon Lescaut“ zum Besten.
Die österreichische Mezzosopranistin Patricia Nolz, die Teil des ersten „Opernstudios“ ab Herbst sein wird, sang „Morgen!“ von Richard Strauss, und der slowakische Bassist Peter Kellner, Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, präsentierte die Arie „Se vuol ballare“ aus Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“.
Jendrik Springer, Pianist und Musikalischer Studienleiter der Wiener Staatsoper, begleitete die Solistinnen und den Solisten auf dem Klavier.
Vom Journalisten zum Musikmanager und Operndirektor
Die Präsentation seines ersten Spielplanprogramms ist bereits ein erster Erfolg in Roscics Ära als Staatsoperndirektor – und sie markiert eine persönliche Heimkehr. Der promovierte Philosoph und Musikwissenschaftler begann seine Karriere als Journalist bei Tageszeitungen, und sie führte ihn später zum Radiosender Ö3, dem er als Senderchef vorstand.
Daran schlossen sich mehrere Spitzenpositionen als Musikmanager an, zunächst als Managing Director bei Universal Music Austria, später als künstlerischer Leiter der Deutschen Grammophon Gesellschaft in Hamburg. Als Managing Director des Klassiklabels Decca ging er nach London, und seit 2009 fungierte er als Präsident von Sony Music Classical in New York.
2016 schließlich wurde überraschend bekanntgegeben, dass er mit diesem Herbst Dominique Meyer als Staatsoperndirektor nachfolgen wird. Auf die Frage Fässlachers, ob er glaube, ab September kritischer beobachtet zu werden als manch anderer, entgegnete Roscic:
„Selbstverständlich glaube ich das. Und ich glaube, das gehört sich auch so. Ich habe in den letzten 20 Jahren etwas ganz anderes gemacht. Ich habe Klassikaufnahmen produziert. Viele davon haben sich um die Oper gedreht und haben stattgefunden mit Bartoli, Garanca, Kaufmann, Netrebko und vielen anderen. Ich komme sozusagen aus einem benachbarten Gebiet. Aber als Theaterdirektor bin ich ein unbeschriebenes Blatt. Da muss man nicht durch Vorschusslorbeeren, sondern durch die Qualität seiner Arbeit überzeugen.“
red, ORF.at/Agenturen