„Es braucht mehr denn je Anstrengungen, dass Bewegung und Training einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert erlangen. Sonst haben wir eine deutlich höhere Mortalität (durch das im Lock-down erworbene Mehrgewicht; Anm.) als wir durch den Lock-down gerettet haben“, sagte Thomas Dorner (MedUni Wien), Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Public Health, am Donnerstag bei einer Online-Pressekonferenz.
Dorner war einer jener zwölf Probanden, welche Christian Lackinger (MedUni Wien) mit Aktivitätsmessungen etc. zwischen 16. März und 26. April in einer ersten Pilotstudie auf die Auswirkungen des Home Office (40 Stunden/Woche) untersuchte. „Die Probanden waren im Durchschnitt 38 Jahre alt und im Home Office ab Mitte März. Wir haben bis zu vier Kilogramm Körpergewichtszunahme gesehen, im Durchschnitt waren es etwa zwei Kilogramm“, sagte Lackinger.
Eine Stunde pro Tag weniger aktiv im Alltag
Die Ursachen: Vor allem die Alltagsaktivität nahm ab. Vor der Pandemie konnte man in vergleichbaren Personengruppen von rund 22 Stunden körperlicher Inaktivität ausgehen, während des strikten Home Office waren es bei den Probanden fast 23 Stunden. Die körperliche Alltagsaktivität nahm von einer Stunde und 40 Minuten in einer Vergleichsgruppe ohne Lockdown auf im Durchschnitt nur noch 42 Minuten ab.
Beim echten Sport gab es mit 17 bzw. durchschnittlich 20 Minuten pro Tag (Lockdown) keinen Unterschied. Wer schon immer sportlich inaktiv war, machte als Ausgleich zum Home Office nicht mehr Bewegung. Lackinger: „Das können dann über sechs Wochen hinweg 300, 400 oder 500 Kilokalorien reduzierter Energieverbrauch pro Tag sein. Da kommt man sehr schnell auf 20.000 Kilokalorien.“ Das ergibt dann das entstandene zusätzliche Körpergewicht.
Mehr Todesfälle zu befürchten
Statistisch könnten bei einem fehlenden Abbau des „Coronavirus-Speckgürtels“ den Österreichern schlimme Konsequenzen drohen. Laut internationalen Statistiken bedeutet eine Gewichtszunahme um ein Kilogramm und mehr bei 18- bis 35-Jährigen eine um 66 Prozent erhöhte Sterberate pro Jahr. In der Altersgruppe der 35- bis 50-Jährigen liegt die Sterblichkeit in diesem Fall um 61 Prozent höher, in der Altersgruppe der 50- bis 69-Jährigen ist die Zunahme der Mortalität in diesem Fall mit plus 17 Prozent deutlich geringer.
Dorner hat diese Literaturangaben auf die österreichische Bevölkerung umgelegt: Demnach würde eine Gewichtszunahme um durchschnittlich 0,6 Kilogramm bis ein Kilogramm pro Jahr zu 1.355 Todesfällen mehr führen als bei gleichbleibendem durchschnittlichen Körpergewicht. Ein Plus an „Coronavirus-Schwimmgürtel“ von mehr als einem Kilogramm wären hingegen bei anhaltender Problematik 4.364 Todesfälle mehr. Das wäre etwa das Siebenfache der bisher an Covid-19 in Österreich Verstorbenen.
Gegenmaßnahmen bis „Vanillekipferl-Zeit“ ratsam
Die Problematik liegt allerdings darin, dass oft einmal zugelegtes Körpergewicht kaum mehr „weggebracht“ wird. „Feiertagsdaten“ (Weihnachten, in den USA „Thanksgiving“, Feiertage in Japan) deuten darauf hin, dass zu diesen Zeiten bloß 500 Gramm Gewichtszunahme erst wieder binnen etwa einem halben Jahr „verloren“ werden. Somit sollte jetzt die Periode vom SARS-CoV-2-Lockdown bis zur „Vanillekipferl-Zeit“ intensiv für Gegenmaßnahmen genützt werden, rieten die Experten.
Die Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) fährt derzeit ihre gesamten Programme wieder hoch. Der Fonds Gesundes Österreich wird bereits in nächster Zeit eine Aktualisierung der österreichischen Bewegungsempfehlungen publizieren.
red, science.ORF.at/Agenturen