Österreich bekräftigt Veto gegen restliche EU

Die EU-Innenminister entscheiden am Donnerstag in Brüssel über die Erweiterung des Schengen-Raums um Bulgarien, Rumänien und Kroatien. Die Aufnahme Kroatiens in den grenzkontrollfreien Schengen-Raum gilt als ausgemacht. Bei Bulgarien und Rumänien blockiert aber in erster Linie Österreich. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bekräftigte vor Beginn des Treffens Österreichs Veto – auch wenn das Land damit innerhalb der EU weitgehend alleine dasteht.

Karner begründete den österreichischen Widerstand Donnerstagvormittag erneut mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich und fordert weitere Maßnahmen der EU-Kommission. „Ich werde heute gegen die Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien stimmen“, so Karner in Brüssel. „Es ist falsch, dass ein System, dass an vielen Stellen nicht funktioniert, an dieser Stelle auch noch vergrößert wird.“

Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister. Ein weiterer Beweis dafür, dass das System derzeit nicht funktioniere, würden die zahlreichen Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengen-Raum zeigen. Karner sprach sich für eine Verschiebung der Abstimmung über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens aus: „Es ist jetzt die Unzeit dazu, diesen Schritt zu machen.“

Rumänien fordert „Respekt“

Die restlichen EU-Staaten sehen das allerdings anders. Nur in Bezug auf Bulgarien haben auch die Niederlande Bedenken angemeldet, für Rumänien und Kroatien zuletzt aber grünes Licht signalisiert. Entsprechend verärgert zeigte sich am Donnerstag erneut die rumänische Politik. Österreich solle Entschädigungszahlungen in der Höhe der Verluste der rumänischen Wirtschaft von 200 Millionen Euro pro Monat leisten, forderte etwa der Präsident der Vereinigung für saubere Energie und die Bekämpfung des Klimawandels, Razvan Nicolescu, laut Agerpres.

Zuvor hatte bereits der rumänische Innenminister Lucian Bode „Respekt“ für sein Land eingefordert. Die Argumente Rumäniens sind bekannt und werden von der tschechischen Präsidentschaft, der Europäischen Kommission und den meisten Mitgliedsstaaten, mit Ausnahme von Österreich, unterstützt“, so der rumänische Innenminister. Er sei daher zuversichtlich, dass die Abstimmung positiv ausfallen werde und die Grenzkontrollen ab dem 1. Jänner aufgehoben werden.

EU will Österreich doch noch ins Boot holen

Auch der tschechische Innenminister und amtierende EU-Ratsvorsitzende Vit Rakusan zeigte sich zuversichtlich, dass „wir heute die Entscheidung für Rumänien und Bulgarien haben werden“. Das werde nicht leicht. Rakusan rechnet mit einer langen Debatte. „Wir werden darauf hinweisen, dass die Länder wirklich alles getan haben, was die EU von ihnen verlangt hat.“ Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser zeigte „Verständnis für die großen Debatten in Österreich“. Sie werde versuchen, mit dem österreichischen Kollegen darüber zu sprechen, sagte sie vor dem Treffen.

„Heute ist der wichtige Tag“, meinte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson vor Beginn des Rates. „Wir haben eine gute Entwicklung und eine konstruktive Diskussion.“ Noch sei nichts klar, „aber ich sehe das positiv“, sagte sie. Es sei das erste Mal in elf Jahren, dass „eine klare Lösung für Rumänien und Bulgarien“ möglich sei. Johansson kann die Situation Österreichs nachvollziehen. Das EU-Land „ist wirklich unter Druck bei der irregulären Migration“.

Deshalb habe sie Anfang der Woche einen Westbalkan-Aktionsplan präsentiert.

Erfolglose Versuche von EVP-Fraktion in Wien

Rumänien hatte sich noch am Mittwochabend erfolglos bemüht, Österreich umzustimmen. Der rumänische EU-Abgeordnete Eugen Tomac berichtete nach der EVP-Fraktionssitzung in Wien, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) habe „jedes rationale Argument“ zurückgewiesen. Es sei eine der angespanntesten politischen Sitzungen gewesen, die er je erlebt habe, so Tomac laut Agerpres.

„Er hat alles, was die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, verworfen, jeden Bericht und jede Statistik geleugnet. Er hat einfach eine absurde Entscheidung getroffen. Er will Rumänien einfach nur auf inakzeptable Weise demütigen“, schrieb der EVP-Abgeordnete auf Facebook. Am Abend versuchte auch noch Rumäniens Regierungschef Nicolae Ciuca laut Agerpres Nehammer in einem Telefonat umzustimmen. Bulgarien drohte zuvor mit nicht näher definierten „Gegenmaßnahmen“ im Falle einer Ablehnung des Beitritts.

Nehammer will Entscheidung verschieben

Nehammer selbst plädierte Mittwochabend bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit dem EVP-Vorsitzenden, Manfred Weber, dafür, die Entscheidung auf den nächsten Herbst zu verschieben. Der Kanzler wiederholte die Argumente, wonach der Schengen-Raum nicht funktioniere. Wenn Österreich als Schengen-Binnenland heuer bereits 75.000 nicht registrierte Migranten aufgegriffen habe, sei das eine „Sicherheitsfrage, die wir nicht wegwischen können“, so Nehammer.

Zugleich verwies er darauf, dass bei dem Innenministertreffen am Donnerstag auch die Niederlande „nicht zustimmen bei Bulgarien“.

Weber äußerte Verständnis für die Sorgen und Anliegen Österreichs, nicht aber für das Veto. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Eduard Heger sagte Weber am Donnerstag am Rande einer EVP-Vorstandssitzung, dass die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien „den gesamten Raum stärken“ werde. Deshalb sei die größte europäische Parteienfamilie, der auch Nehammers ÖVP angehört, für die Erweiterung. Auch Heger hielt fest, dass er die österreichische Blockade für kontraproduktiv halte.

Diese Ansicht zieht sich augenscheinlich durch die EVP, wie die Vorstandssitzung der EU-Fraktion zeigte. Dort wurden am Donnerstag die Erklärungsversuche von EU-Ministerin Karoline Edtstadler kühl aufgenommen. Der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich erhielt hingegen Szenenapplaus, als er sich für die Schengen-Erweiterung aussprach.

Einstimmigkeit erforderlich

Die EU-Innenminister wollten am Donnerstagvormittag zunächst über die Aufnahme Kroatiens abstimmen, anschließend wird über die Erweiterung um Rumänien und Bulgarien entschieden. Die drei Länder sind schon jetzt zum Teil an die Schengen-Regeln gebunden, doch wurden die Kontrollen an den Binnengrenzen zu ihnen bisher nicht aufgehoben. Die bestehenden Schengen-Mitglieder müssen einer Aufnahme eines weiteren Landes einstimmig zustimmen.

Neben 22 EU-Mitgliedsländern gehören die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein zum Schengen-Raum. Normalerweise finden auf diesem Gebiet keine stationären Grenzkontrollen statt. Insbesondere nach der Migrationskrise im Jahr 2015 wurde dieses Prinzip von einer Reihe von Staaten, darunter Österreich, ausgesetzt.

Kritik von SPÖ, NEOS und Karas

Kritik an der Haltung Karners kam vor dem EU-Innenministertreffen von SPÖ und NEOS, aber auch vom Koalitionspartner. Auch Nehammers Parteikollege Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des EU-Parlaments, meinte, eine Schengen-Blockade trage nichts zur Lösung bei den Asylzahlen bei und habe damit auch nichts direkt zu tun. Beides zu vermischen, sei „unverantwortlich und unsäglich“, so Karas.

Der grüne Europasprecher Michel Reimon verpackte am Donnerstag seine Kritik an der Haltung der ÖVP in Ironie: Im Zentrum Europas stünden „die wichtigsten Wahlen auf dem Kontinent seit mindestens fünf Jahren an“, spielt die Aussendung auf die kommende Landtagswahl in Niederösterreich an. Da zeuge es von geringem politischem Verständnis, die Erweiterung des Schengen-Raumes zum jetzigen Zeitpunkt umsetzen zu wollen. „Wie soll Europa funktionieren, wenn es keine Rücksicht auf jede föderale Struktur nimmt?“, so Reimon ironisch.

(ORF.at/Agenturen)

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