Österreich wird vor EuGH klagen

Nach der Entscheidung des EU-Parlaments für die Einstufung von Atomkraft und Gas als „grüne“ Investition hagelt es scharfe Kritik aus der österreichischen Politik und von zahlreichen NGOs. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) kündigte am Mittwoch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Über alle Lager hinweg fielen die Reaktionen auf die Entscheidung für das umstrittene EU-Label enttäuscht aus.

„Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten bereits intensiv auf diesen Fall vorbereitet und werden unsere Klage im Rahmen der dafür vorgesehenen Frist einreichen“, so Gewessler in einer Aussendung. Die Entscheidung werde dem „Green Deal“ und den europäischen Bemühungen für eine gute und klimafreundliche Zukunft nicht gerecht, so Gewessler. „Sie ist weder glaubwürdig, ambitioniert noch wissensbasiert, gefährdet unsere Zukunft und ist mehr als verantwortungslos.“

Luxemburg, das im Vorfeld wie Österreich eine Klage angekündigt hatte, habe laut Gewessler bereits zugesagt, sich an den rechtlichen Schritten zu beteiligen. „Wir werden die nächsten Wochen und Monate weiter dazu nützen, weitere Verbündete zu gewinnen“, so Gewessler.

Unterstützung bekam die Ministerin dabei von Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des Europaparlaments: Im Gespräch mit dem ORF sagte er, dass er es für richtig halte, dass Österreich nun vor den EuGH zieht. Die Taxonomieverordnung der EU-Kommission sei ein Signal für Investoren, das Label habe durch die Entscheidung nun „stark an Glaubwürdigkeit verloren“, so Karas. Manche hätten „Kraut mit Rüben verwechselt“ – also die Frage nach der langfristigen Nachhaltigkeit mit dem aktuellen Problem der Versorgungssicherheit.

Österreichische Abgeordnete enttäuscht

Der grüne Abgeordnete Thomas Waitz sagte, mit der Entscheidung „schneiden wir uns ins eigene Fleisch“. Damit werde riskiert, dass Geld, das für den Umbau auf erneuerbare Energien benötigt wird, anders investiert werde. Claudia Gamon (NEOS) sprach von einem „Rückschlag“, es gehe letztlich darum, wie man das Maximum an Kapital und politischem Einsatz für die Energiewende mobilisieren könne.

Georg Mayer (FPÖ) sagte, Atomenergie werde damit ein „grünes Mascherl“ umgehängt. Er verwies auch auf die AKWs in unmittelbarer Nähe Österreichs. Evelyn Regner (SPÖ) zeigte sich „enttäuscht“, man wolle nun den Rechtsausschuss des Parlaments damit befassen. Nachhaltige Investitionen müssten gefördert werden, für den Übergang auf erneuerbare Energien brauche es private Investoren, so Regner.

Scharfe Kritik von NGOs

Auch NGOs übten scharfe Kritik. Greenpeace kündigte rechtliche Schritte an. „Das ist ein skandalöses Ergebnis, gegen das wir vor Gericht ankämpfen werden. Die Gas- und Atomlobby wird sich nicht durchsetzen“, so Greenpeace-Österreich-Sprecherin Lisa Panhuber. Vor dem Gang vor den EuGH will man eine interne Prüfung bei der EU-Kommission beantragen.

Auch der WWF prüft laut eigenen Angaben eine Klage. „Das ist ein herber Rückschlag für die europäische Klimapolitik“, so Jakob Mayr, Experte für nachhaltige Finanzen bei WWF Österreich. „Zusätzliche Milliarden werden in klimaschädliche Industrien fließen und uns damit in eine fatale Sackgasse bringen. Klimaziele und Energieunabhängigkeit geraten in weite Ferne – dieses Gesetz ist legalisiertes Greenwashing“, so Mayr.

Kritik kam auch von der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ („FFF“). „Die EU hat uns heute verraten“, sagte Klara König von „FFF“ Österreich. Die Gruppe habe monatelang Kampagnen geführt, Proteste initiiert und mit Abgeordneten gesprochen. „Jetzt muss Österreich sein Versprechen einlösen und die Europäische Kommission verklagen. Das ist unsere größte Chance, diese verdammte grüngewaschene Taxonomie noch zu Fall zu bringen.“

Kommission fühlt sich bestätigt

Die Kritik der EU-Parlamentarier war unterdessen auch an die Kommission gerichtet: „Die Umgehung der Kogesetzgeber gepaart mit einer dreisten Kompetenzüberschreitung sind klare Zeichen, auf welchem Holzweg sich die EU-Kommission“ befinde, schrieb etwa der grüne Abgeordnete Waitz. Mehrere Abgeordnete sahen eine Umgehung des Parlaments durch die Vorgehensweise des der Kommission.

Die sah sich jedoch in einer Aussendung von dem Ergebnis bestätigt. Das Votum sei eine „Anerkennung unseres pragmatischen und realistischen Ansatzes bei der Unterstützung vieler Mitgliedsstaaten auf ihrem Weg zur Klimaneutralität“. Man habe sich „verpflichtet, alle verfügbaren Instrumente zu nutzen, um von Energiequellen mit hohen CO2-Emissionen wegzukommen“.

EU-Staaten könnten Regelung theoretisch noch kippen

Nur 278 Abgeordnete sprachen sich in Straßburg gegen die Taxonomieverordnung aus – zur Annahme des Einspruchs hätten es aber die absolute Mehrheit, also mindestens 353 Stimmen, sein müssen. Damit nahm der umstrittene Vorschlag eine weitere große Hürde – die Abstimmung war im Vorfeld mit Spannung erwartet worden, die Abgeordneten selbst erwarteten eine knappe Entscheidung, letztlich fiel das Votum aber doch deutlich aus.

Die EU-Staaten können bis zum 11. Juli den Vorschlag der EU-Kommission noch blockieren. Das gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, die notwendige Abstimmung dazu ist dem Vernehmen nach nicht angesetzt. 20 der 27 Staaten mit mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung müssten dagegen stimmen – andernfalls tritt der Vorschlag kommendes Jahr in Kraft.

Konkret soll die Taxonomie festlegen, welche Finanzinvestitionen künftig als klimafreundlich gelten, um mehr Geld in nachhaltige Technologie und Unternehmen zu lenken. Unter bestimmten Voraussetzungen sollen auch Gas und Atomkraft darunter fallen. In den vergangenen Monaten prägte vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Debatte mit – und rückte auch Gas in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

(ORF.at)

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